Traumata überwinden und Hilfestellungen für Angehörige

Apr 9, 2024

Traumata überwinden und Hilfestellungen für Angehörige

Lesedauer: etwa 8 bis 12 Minuten

Haben Sie schon einmal vom „Vietnam-Syndrom“ gehört? Dieser Begriff wurde nach dem Vietnamkrieg geprägt und oft synonym mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) verwendet, da viele US-Veteranen nach ihrer Rückkehr aus Vietnam psychisch stark belastet waren. Der Begriff impliziert jedoch fälschlicherweise, dass PTBS ausschließlich bei Militärangehörigen auftritt. Tatsächlich können Menschen aus allen Lebensbereichen davon betroffen sein, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Beruf. Jeder Mensch, der ein schwerwiegendes traumatisches Erlebnis erfährt, kann eine PTBS oder eine andere Traumafolgestörung entwickeln.

Was ist eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)?

Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gehört zu den sogenannten Traumafolgestörungen und kann nach einem Trauma entstehen, wenn das Erlebte nicht richtig verarbeitet werden kann. Traumata können ganz unterschiedliche Ursachen haben: Naturkatastrophen, schwere Unfälle, körperliche oder sexuelle Gewalt, Kriegserlebnisse oder Fluchtsituationen. PTBS tritt oft dann auf, wenn der betroffene Mensch nach dem traumatischen Ereignis keinen ausreichenden Schutz oder keine ausreichende Unterstützung erhält, um das Erlebte zu verarbeiten.

Die Symptome der PTBS sind vielfältig und betreffen das emotionale, körperliche und soziale Wohlbefinden der Betroffenen. Zu den typischen Symptomen gehören:

  • Intrusionen: Betroffene erleben das traumatische Ereignis immer wieder, sei es in Form von Flashbacks oder Albträumen. Diese ungewollten Erinnerungen treten plötzlich und oft ohne ersichtlichen Auslöser auf.
  • Vermeidungsverhalten: Viele Betroffene versuchen, Situationen, Menschen oder Orten aus dem Weg zu gehen, die sie an das Trauma erinnern könnten. Dieses Vermeidungsverhalten schränkt das Alltagsleben oft stark ein.
  • Übererregung (Hyperarousal): Betroffene befinden sich in einem ständigen Zustand der Wachsamkeit. Sie sind leicht schreckbar, leiden unter Schlafstörungen, Reizbarkeit und haben Schwierigkeiten, sich zu entspannen.
  • Emotionale Taubheit: PTBS-Betroffene berichten häufig von einem Gefühl der emotionalen Abstumpfung. Sie können sich weder richtig freuen noch trauern, fühlen sich entfremdet von ihrer Umwelt und den Menschen um sie herum.

Darüber hinaus können Traumafolgestörungen mit anderen psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen, einhergehen. Besonders bei langanhaltenden oder wiederholten Traumata, wie sie etwa bei Kindesmissbrauch oder häuslicher Gewalt auftreten, entwickeln Betroffene oft eine komplexe PTBS, bei der die Symptome umfassender und schwerwiegender sind. Dazu zählen tiefgreifende Störungen des Selbstbildes, das Gefühl ständiger Bedrohung und Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Die Geschichte der PTBS: Von der Kriegsneurose zur modernen Traumadiagnose

Die Geschichte der PTBS-Diagnose zeigt, dass Traumafolgestörungen lange Zeit vor allem in Verbindung mit Kriegserlebnissen wahrgenommen wurden. Schon im Ersten Weltkrieg erlitten viele Soldaten traumatische Erlebnisse und wurden als "Kriegszitterer" oder "Kriegsneurotiker" bezeichnet. Damals war das Verständnis dieser psychischen Erkrankung noch begrenzt, und Betroffene wurden häufig als feige oder schwach abgestempelt. Sie litten unter Symptomen wie Zittern, Lähmungserscheinungen und Panikattacken. Man nannte diese Zustände „Schrapnellschock“ oder „Granatenschock“, weil man annahm, dass die körperliche Nähe zu Explosionen das Nervensystem der Soldaten dauerhaft geschädigt hatte.

Erst nach dem Vietnamkrieg rückte das Verständnis von Traumafolgestörungen weiter in den Fokus. Immer mehr US-Veteranen kehrten aus Vietnam mit schweren psychischen Problemen zurück. Die Symptome ähnelten denen der Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, wurden jedoch genauer untersucht und dokumentiert. 1980 wurde die PTBS erstmals als eigenständige Diagnose im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-III) der American Psychiatric Association aufgenommen. Diese Anerkennung ermöglichte eine gezieltere Forschung und Therapieentwicklung.

Heute weiß man, dass PTBS nicht nur durch Kriegserlebnisse, sondern durch viele verschiedene traumatische Ereignisse ausgelöst werden kann, wie Gewalt, Missbrauch, Naturkatastrophen oder schwere Unfälle. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auch auf den Traumata, die Flüchtlinge und Migranten in ihrem Heimatland und auf ihrer Flucht erleiden.

Traumafolgestörungen: Mehr als nur PTBS

Neben der PTBS gibt es zahlreiche andere psychische Störungen, die durch traumatische Erlebnisse ausgelöst werden können. Diese Traumafolgestörungen unterscheiden sich je nach Art und Dauer des Traumas. Hier einige Beispiele:

Komplexe PTBS:

Diese Form der PTBS tritt häufig nach anhaltenden und wiederholten Traumatisierungen auf, wie sie bei chronischer Gewalt oder Missbrauch in der Kindheit vorkommen. Betroffene zeigen tiefgreifende Störungen in ihrem Selbstwertgefühl, in zwischenmenschlichen Beziehungen und bei der Regulation von Emotionen.

Dissoziative Störungen:

Viele traumatisierte Menschen entwickeln eine dissoziative Symptomatik, bei der sie sich von ihrem Körper oder der Realität distanziert fühlen. Dissoziationen können auch in Form von Amnesien auftreten, bei denen Betroffene Teile des traumatischen Erlebnisses nicht bewusst erinnern können.

Anpassungsstörungen:

Diese treten auf, wenn Menschen Schwierigkeiten haben, sich nach einem traumatischen Erlebnis an neue Lebensumstände anzupassen. Oft äußert sich dies in Depressionen, Ängsten oder sozialem Rückzug.

Was ist eine Traumatherapie?

Die Traumatherapie ist ein spezieller Bereich der Psychotherapie, der sich auf die Behandlung traumatisierter Menschen konzentriert. Sie zielt darauf ab, die negativen Folgen eines Traumas zu bewältigen und das Erlebte in die Lebensgeschichte der Betroffenen zu integrieren. Traumatherapien setzen an unterschiedlichen Punkten an und orientieren sich an den individuellen Bedürfnissen der Patient

. Eine umfassende Traumatherapie gliedert sich in drei Phasen:

  1. Stabilisierung: In der ersten Phase lernen Betroffene, ihre Symptome zu kontrollieren und sich emotional zu stabilisieren. Dabei kommen Methoden zur Anwendung, die die Selbstberuhigung und Emotionsregulation fördern. Techniken wie Atemübungen, Achtsamkeitstraining oder progressive Muskelentspannung können helfen, innere Anspannungen zu lösen und sich besser vor Überflutung mit negativen Emotionen zu schützen. Ein zentraler Bestandteil der Stabilisierungsphase ist die Psychoedukation, bei der Betroffene über ihre Symptome und deren Ursachen aufgeklärt werden. Dieses Wissen vermittelt den Betroffenen das Gefühl, nicht „verrückt“ zu sein, sondern dass ihre Reaktionen normale Folgen eines außergewöhnlichen Erlebnisses sind.
  2. Traumabearbeitung: Diese Phase beginnt erst, wenn die Betroffenen stabil genug sind. Hier werden die traumatischen Erinnerungen schrittweise aufgearbeitet. Eine Methode, die in der Traumabearbeitung häufig eingesetzt wird, ist Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR). Bei dieser Technik folgt der Betroffene mit den Augen den Bewegungen des Therapeuten, während er sich an das traumatische Ereignis erinnert. Diese bilaterale Stimulation soll dabei helfen, die traumatischen Erinnerungen besser zu verarbeiten und neu zu bewerten. Auch die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) spielt in der Traumabearbeitung eine zentrale Rolle. Sie hilft den Betroffenen, negative Denkmuster zu erkennen und durch realistischere zu ersetzen.
  3. Integration: In der letzten Phase der Traumatherapie geht es darum, das Trauma als Teil der eigenen Lebensgeschichte anzuerkennen und in das eigene Leben zu integrieren. Betroffene lernen, das Erlebte nicht länger zu verdrängen, sondern es als Teil ihrer Biografie anzunehmen. Ziel ist es, das Trauma nicht als bestimmenden Teil des Lebens zu sehen, sondern als ein Erlebnis, das verarbeitet und überwunden werden kann.

Welche Methoden werden in der Traumatherapie angewendet?

In der Traumatherapie kommen verschiedene Methoden zum Einsatz, die individuell auf die Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten werden:

EMDR:

Diese Methode, die auf bilateraler Stimulation basiert, wird häufig in der Traumatherapie eingesetzt und gilt als besonders effektiv bei der Behandlung von PTBS.

Narrative Expositionstherapie (NET):

Diese Methode eignet sich besonders für Menschen, die mehrere Traumata erlebt haben, wie Flüchtlinge oder Opfer von langanhaltender Gewalt. Dabei wird die Lebensgeschichte des Betroffenen in chronologischer Reihenfolge erzählt und die traumatischen Erlebnisse in die Biografie eingeordnet.

Psychodynamische Ansätze:

Hier wird davon ausgegangen, dass traumatische Erlebnisse unbewusste Konflikte aktivieren, die in der Therapie aufgedeckt und bearbeitet werden müssen. Dies ist vor allem bei komplexen PTBS von Bedeutung.

Hilfestellungen für Angehörige

Wenn Sie jemanden in Ihrem Umfeld haben, der unter einer PTBS oder einer anderen Traumafolgestörung leidet, fühlen Sie sich möglicherweise hilflos oder überfordert. Es gibt jedoch viele Möglichkeiten, wie Sie den Betroffenen unterstützen können:

Informieren Sie sich über die Erkrankung:

Ein tieferes Verständnis der Symptome und Mechanismen der PTBS kann Ihnen helfen, besser mit den Herausforderungen umzugehen und angemessene Unterstützung zu bieten.

Schaffen Sie Sicherheit:

Menschen mit PTBS fühlen sich oft unsicher und verletzlich. Sie können helfen, indem Sie eine stabile, unterstützende und vertrauensvolle Umgebung schaffen. Routinen und Rituale können den Betroffenen das Gefühl von Stabilität und Kontrolle zurückgeben.

Geduld und Verständnis:

Die Heilung von Traumafolgestörungen ist ein langwieriger Prozess, der Geduld erfordert. Vermeiden Sie es, Druck auszuüben oder schnelle Fortschritte zu erwarten.

Hilfe suchen:

Wenn Sie das Gefühl haben, selbst überfordert zu sein, zögern Sie nicht, Hilfe für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Angehörige von Traumaopfern sind oft selbst belastet und brauchen Unterstützung, um langfristig helfen zu können.

Fazit

Die Überwindung von Traumata ist ein komplexer und langwieriger Prozess, aber durch gezielte Therapieansätze und ein unterstützendes Umfeld können Betroffene lernen, mit den Folgen umzugehen und ein erfülltes Leben zu führen. Angehörige spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie Sicherheit, Geduld und Verständnis vermitteln.

Quellen:

https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/trauma/traumatherapie.html

https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/06/geschichte-der-ptbs-von-der-kriegsneurose-zur-traumadiagnose

https://www.baff-zentren.org/faq/was-sind-traumafolgestoerungen/

https://www.drugcom.de/themen/psychische-erkrankungen/posttraumatische-belastungsstoerung-ptbs/

https://www.dgps.de/index.php?id=568

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